Die freie Schule wird eine Woche lang zum Staat

Vom 22. bis zum 26. Oktober 2018 verwandelte sich die Freie Schule Heckenbeck in den Staat: „QualityLand“. Die Idee zu diesem Projekt brachte ein 9-jähriger Schüler ein; umgesetzt wurde sie durch Schüler*innen und das pädagogische Team unterstützt durch Eltern.

 

Im Vorfeld gab es einige Entscheidungen zu treffen: Beispielsweise erst einmal welche Staatsform ausprobiert werden und wie der Staat heißen sollte. Entscheidungen wie diese trafen ein Vorbereitungsteam aus Schüler*innen und Lernbegleiter*innen. Es sollte ein demokratisches System werden. Einige Schüler*innen bildeten daraufhin Parteien, die per geheimer Wahl zu einem Parlament gewählt wurden. Das Parlament wählte daraufhin eine 11-jährige Schülerin als Kanzlerin.

 

Damit waren schon einmal einige Voraussetzungen für die Projektwoche geschaffen. Doch nicht nur die politischen Rahmenbedingungen wollten vorbereitet sein, es mussten auch Grundlagen für ein funktionierendes Wirtschaftssystem geschaffen werden: So entwickelten viele Schüler*innen Ideen für Unternehmensgründungen. Beispielsweise gab es diverse gastronomische Angebote, die teilweise mit Hilfe der Eltern umgesetzt wurden.

 

Hier konnten in der Projektwoche Pizza, Milchshakes, Kuchen, Brezeln und viele weitere Leckereien gekauft werden. Es gab Dienstleistungsbetriebe, wie beispielsweise einen Schönheitssalon, in dem man sich gegen Bezahlung die Nägel lackieren oder die Haare frisieren lassen konnte. Und es gab Institutionen, die Beamte des öffentlichen Dienstes beschäftigten, wie eine Polizeistation, ein Arbeitsamt und ein Finanzministerium.

Um einen Wirtschaftskreislauf überhaupt erst zu ermöglichen, tauschten alle Beteiligten im Vorfeld 10 Euro in die Landeswährung, die „Qualities“ und „Minis“, um. Eine von Schüler*innen und Lernbegleiter*innen geführte Bank verwaltete den Umtausch, bot Finanzberatungen bei Unternehmensgründungen an und vergab Kredite, sofern ein schlüssiger Businessplan vorlag.

Das Finanzministerium setzte Steuern fest, durch die u.a. die Beamtengehälter bezahlt und Kulturprojekte finanziert werden konnten. Nach zwei Tagen waren die Steuereinnahmen allerdings schon ausgegeben und die Beamtengehälter konnten nicht mehr bezahlt werden, da sie im Verhältnis zu hoch angesetzt waren. Der Finanzminister (ein Lernbegleiter) entwickelte gemeinsam mit seinen Mitarbeiter*innen (Schüler*innen) ein Rettungspaket, das die Preise, die Mehrwertsteuer und ebenfalls die Einkommenssteuer erhöhte sowie die Beamtengehälter schmälerte.

Am dritten Tag fand ein offener Nachmittag statt, an dem Interessierte zu Besuch ins QualityLand kommen durften und angebotene Nahrungsmittel und Dienstleistungen erstehen konnten. Durch das Rettungspaket und die hohen Einnahmen an diesen Besuchsnachmittag wurde QualityLand vor einer Staatspleite gerettet. Am nächsten Tag schraubte das Finanzministerium die Steuern wieder herunter.

 

Am letzten Tag der Projektwoche stattete die Bürgermeisterin von Bad Gandersheim QualityLand einen offiziellen „Staats-Besuch“ ab. Die Bundeskanzlerin von QualityLand führte sie gemeinsam mit dem Schulleiter und Vertreter*innen der Presse herum, zeigte ihr Geschäfte und Institutionen und berichtete ihr vom Verlauf der Projektwoche.

 

Auf die Frage der Bürgermeisterin, ob es auch Arbeitslosengeld im QualityLand gab, erwiderte die Bundeskanzlerin, dass dies im Parlament zur Debatte stand, dann aber aus verschiedenen Gründen zunächst verworfen wurde. Es wurde aber eine Tafel eingerichtet, an der Hungrige, ohne zu bezahlen, Obst und Gemüse essen konnten.

 

Während einige Betriebe eher ein Verlustgeschäft machten und durch staatliche Subventionen und Spenden am Leben erhalten wurden, verzeichneten andere enormen wirtschaftlichen Erfolg: Ein 8-jähriger Junge verkaufte in einem Bauchladen Schokofrüchte. Sein Geschäft florierte so sehr, dass er ein Franchise-System ins Leben rief, indem er seinen Bauchladen verlieh und am Gewinn seiner Mitarbeiter beteiligt wurde. Ein anderer Schüler verkaufte Tee auf dem Schwarzmark. Er versäumte es, seine Steuererklärung zu machen, und wurde von der Polizei zur Rechenschaft gezogen.

 

Diese Anekdoten verweisen auf unzählige Lernprozesse, die, je nach Alter der Schüler*innen, auf ganz verschiedenen Ebenen angesiedelt waren. Für die meisten jüngeren Schüler*innen ging es vor allem darum, eine Idee (beispielsweise für ein Dunkelrestaurant oder für eine Backerei) zu entwickeln und während der Projektwoche mit Unterstützung jeden Tag umzusetzen, Frustrationen und Durststrecken auszuhalten, dabei auch Rechnen und Schreiben zu üben, wurden doch Grundrechenarten täglich an der Bäckertheke oder am Crêpestand angewandt.

 

Für ältere Schüler*innen ging es weitgehend darum, ihr bestehendes Verständnis demokratischer Prozesse zu vertiefen und um (volks-)wirtschaftliche Zusammenhänge zu erweitern. Dies konnten sie z.B. erleben als die Staatspleite drohte oder auch als Sorge um den Wertverlust des Geldes auftauchte und entsprechende Umgangsstrategien mit solchen Phänomenen gefragt waren. Viele der älteren Schüler*innen waren auch journalistisch tätig und publizierten täglich die Zeitung „QualityNews“ mit bebilderten Artikeln im überzeugenden journalistischen Jargon.

 

Alle konnten sich darin erproben, aktiv am Gelingen von QualityLand mitzuwirken – sei es durch Unternehmertum, Mitgliedschaft in einer Partei, einem politischen Amt, Mitwirken an der Zeitung oder einfach als Kund*in und Beobachter*in. Alle Mitwirkenden wurden mit Fragen zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes, zu sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und dem Gelingen von Wirtschaft konfrontiert.

 

Die Schulgemeinschaft der Freien Schule Heckenbeck hat nach dieser Erfahrung beschlossen, das Projekt „Schule als Staat“ grundsätzlich in ihren Lehrplan aufzunehmen und im kommenden Jahr erneut umzusetzen. Ziel ist es auch, die Schüler*innen stärker in die Vorbereitung und Umsetzung des Staates in der Schule mit einzubeziehen.

 

Dadurch können alle Beteiligten die Umsetzung solcher Projekte verfeinern, daran wachsen und neue Ideen ausprobieren, die schon im Zuge der Nachbereitung von Schüler*innen und Lernbegleiter*innen entwickelt werden: Wie würde eine andere Staatsform/Wirtschaftsform funktionieren? Wie würde ein bedingungsloses Grundeinkommen das Projekt beeinflussen? Welche Unternehmen/Institutionen könnte es noch geben?

In der Reflexion zogen die beteiligten Erwachsenen u.a. folgendes FAZIT:

 

  • Es wurde als sehr gemeinschaftsbildend wahrgenommen, dass die gesamte Schule an dem Projekt beteiligt war und dass die Eltern einbezogen waren.
  • Das gegenseitige Helfen, als zum Beispiel ein Geschäft bestohlen wurde und daraufhin die Inhaber*innen dann z.T. vom Staat, aber auch von „Zivilisten“ unterstützt wurden, betrachten wir als wertvolle Prozesse.
  • Die Altersmischung wurde gefördert.
  • Im Rahmen eines solchen Projektes können sehr viele Inhalte Thema sein.

 

Verbesserungsideen für das nächste Mal:

 

  • Insbesondere bei den Älteren sollte die Vor- und Nachbereitung als explizites Thema in den Mathe-, Politik-, und Deutschkursen sein.
  • Als Unternehmen sollen Kunst & Kultur, sowie Handwerk (Lederwerkstatt? Filzen? Schneiderei?) gefördert werden
  • Ein Schulvater von der Polizei könnte zur „Ausbildung“ der Staatspolizei eingeladen werden (→  „Peace-Police“?)