Dies ist ein Interview mit der Lernegleiterin Nina und ihrer Tochter Charlotte (8) vom Juni 2019. Die beiden haben die Freitagsdemos in Bad Gandersheim initiiert. Das Interview führte Taiya aus der Öffentlichkeitsarbeitsgruppe der FSH. Zunächst ist nur Nina da, weil Charlotte noch Musikprobe hat. Charlotte kommt nach einer Weile dazu und steigt in das Gespräch mit ein.
Taiya: Wie ging denn die Auseinandersetzung mit Fridays for Future hier an der Schule los?
Nina: Wir haben in der Schule hier einmal die Woche einen News-Treff. Das ist ein Angebot, bei dem alle Kinder, die Lust haben, sich dienstags morgens mit mir treffen. Dann sprechen wir über die Nachrichten, die wir gehört, gesehen oder aufgeschnappt haben. Und dann versuchen wir, das in einen Zusammenhang zu bringen. Oft sind auch Fragen da – wieso ist das jetzt gerade wichtig? Und so sind wir auch auf Greta aufmerksam geworden. Sie war immer häufiger in den Medien, in der Zeitung, im Internet. Einige Kinder gucken auch Nachrichten, einige gucken LOGO, die Älteren gucken HEUTE oder TAGESSCHAU. So sind wir darauf aufmerksam geworden, dass es diese Bewegung gibt und haben dann natürlich hinterfragt: Was will denn die Greta, warum streikt sie? Warum geht sie nicht zur Schule?
Als sich andere Schüler*innen in Deutschland der Bewegung anschlossen haben einige unserer Schüler*innen gesagt: Das müssten wir hier doch auch mal machen! Wo ist denn hier die nächste Fridays for Future Demo? Gemeinsam mit unserer FÖJlerin, die eine Umwelt AG anbietet und die FFF Bewegung auch dort auch thematisiert hat, haben wir im Internet geschaut und haben uns entschieden, nach Göttingen zu fahren.
Wir als Sekundaria Team wollten diesen Wunsch gerne begleiten und haben eine Schulveranstaltung daraus gemacht. Zwar ist der Gedanke ja, dass man streikt, aber so konnten die Schüler*innen es erstmal kennenlernen und in einem behüteten Raum starten. Es haben sich dann ganz viele Kinder und Jugendliche aus der Sekundaria und Tertia angeschlossen. Die sind nach Göttingen gefahren, es war gar kein schönes Wetter, trotzdem waren Alle ganz begeistert. Es war ein großer Demonstrationszug durch die Stadt, mit vielen Reden, was für die Jüngeren auch ein bisschen anstrengend war. Teilweise sind Eltern als Betreuung mitgefahren, und teilweise sind Eltern mit ihren Kindern auch privat dorthin gefahren, insgesamt waren es wohl so um die 30 Personen. Es gab auch Tertia Schüler*innen die gesagt habe, nein, das ist ja nicht der Sinn des Ganzen, wir fahren jetzt alleine dahin, weil wir streiken.
Wir waren sogar im Göttinger Tageblatt!
Taiya: Wie habt Ihr denn im Schulalltag die Themen, die mit FFF zusammenhängen kontextualisiert?
Nina: Wir haben gemeinsam angefangen, Plakate zu malen. Wir haben Fragen geklärt wie zum Beispiel: was ist denn dieses CO 2? Wir haben Angebote gemacht zur Vor- und Nachbereitung.
Wir haben darüber gesprochen, dass es natürlich wichtig ist, dass wir hier unseren Müll trennen, dass wir darauf achten, nicht die Heizung aufzudrehen und die Fenster auf Kipp zu haben. Aber dass es auch um ganz andere Dinge geht, dass es um große politische Veränderungen geht. Und es ging auch nicht nur darum, was ich umweltpolitische machen kann, sondern auch um Fragen wie: Wer darf denn eigentlich demonstrieren? Darf man das in jedem Land? Wie ist das mit der Meinungsfreiheit, wann darf man demonstrieren und wann nicht, ab wann ist es eine Demonstration? Muss man das anmelden? Darf man einfach losmarschieren? Gerade hier durch Heckenbeck, dürften da einfach 30 Kinder losmarschieren? Wir haben uns genau angeguckt, wie Demonstrationen angemeldet werden müssen, wie viele Plaketa man haben kann, das muss ja alles vorher angemeldet werden. Und wir haben darüber geredet, dass es toll ist, dass wir das hier in Deutschland machen können, denn wenn wir in einem anderen Land leben würden, könnten wir es nicht machen. Es ging also auch um Demokratieverständnis.
Taiya: War das mit dem Schwänzen ein Thema wie in vielen anderen Schulen?
Nina: Schon, aber nicht so sehr. Die meisten Kinder haben es eher so gesehen: Wir wollen was für die Umwelt machen, ist doch klar, dass wir dann einfach gehen. Welche Vorschriften es gibt ist doch egal, wir setzen uns doch für was Gutes ein! Es war ganz klar, dass sie demonstrieren gehen, wenn das doch für die Umwelt ist. In der Tertia haben wir das Thema Streiken angesprochen, aber es hat nicht so großen Raum eingenommen. Freitags gibt es in der Tertia immer Mathe Angebote. Bei einigen Jugendlichen ging es ja um den Abschluss, da haben einige gesagt, wir müssen jetzt erstmal beim Mathe Angebot bleiben. Es gab aber auch welche die gesagt haben, unser weiteres Leben hier auf diesem Planeten ist wichtiger als die eine Stunde Mathe. Die haben sich dann entschieden, als die Demos in Gandersheim waren, Mathe ausfallen zu lassen. Da waren die Meinungen geteilt. Von uns wurde nicht vorgegeben, dass sie zur Demo gehen müssen oder nicht, die Jugendlichen haben das dann für sich selbst eingeschätzt und entschieden.
Taiya: Wie kam es denn dann, dass es auch in Bad Gandersheim Demonstrationen gab?
Nina: Als in Göttingen die Demo war, hat meine Tochter Charlotte zu Hause gesagt: “Voll ungerecht! Wieso dürfen denn Primaria Kinder nicht zur Demo nach Göttingen fahren? Mama, ich will auch demonstrieren!” Dann habe ich gesagt, ja, das steht Dir ja frei. Du kannst Dich in Bad Gandersheim auch vor das Rathaus stellen mit einem Plakat in der Hand und kannst auch sagen: “Hopp Hopp Kohlestopp”. Und sie hat uns dann wirklich gelöchert zu Hause und gesagt, sie möchte auch demonstrieren. Sie meinte auch, das habe doch nichts mit dem Alter zu tun ob jemand für Umweltschutz ist oder nicht. Und dann ist bei uns zu Hause die Idee entstanden, dass wir uns mit unserem Kind da hin stellen. Dann haben Oma und Opa und die Uroma gesagt: “Okay Charlotte, wenn Du das wirklich machen möchtest, dann stellen wir uns auch mit Dir da hin!” Charlotte ist in die Schulversammlung gegangen und hat gesagt sie möchte auch eine FFF Demo machen. Die Schulversammlung hat gesagt, das sei lobenswert und schön, aber sie sei gar nicht der Ort, an dem das entschieden werden kann. Das müsse Charlotte alleine machen mit ihren Eltern. Charlotte fing daraufhin an, Leute zu akquirieren, die mit ihr zur Demo gehen. Ich habe die Demo angemeldet, die erste Demo meines Lebens, ich wusste erst gar nicht wie das funktioniert. Es war toll, denn das konnte ich in der Schule erzählen und zeigen, wie so ein Antrag aussieht. Wir haben dann ein Vorlage von FFF runtergeladen und ein Plakat entworfen. Wir haben ein Datum und eine Uhrzeit festgelegt. Charlottes Vater und ich haben den Termin einfach nur in unseren Status bei Whatsapp gestellt, und eine Stunde später hatten das schon viele, die es bei uns gesehen hatten, in ihren Status gestellt. Die Leute haben es in den sozialen Medien geteilt und es hat sich ganz schnell verbreitet. Und wir haben die Info noch an die lokale Presse weitergegeben. Das haben wir erst Dienstag gemacht und Freitag war schon die Demo. Wir kamen dahin, und es waren bestimmt 200 Leute da. Ein Journalist aus Northeim kam, und es waren viele Schüler*innen vom Gymnasium und von der Oberschule aus Gandersheim da. Danach haben wir eine FFF Ortsgruppe und eine Parentsgruppe in Gandersheim gebildet.
Charlotte kommt dazu
Taiya: Magst Du mir ein bisschen erzählen, Charlotte, warum Du mit den Demos angefangen hast?
Charlotte: Also ich habe über die Demo nachgedacht weil es ja eine Klimakrise gibt. Und wenn wir erst in zwanzig Jahren etwas tun, dann kann man ja nichts mehr tun. Man muss es jetzt schon machen.
Man muss jetzt mit der Kohle aufhören.
Taiya: Hat es Dir denn Spaß gemacht?
Charlotte: Ja
Taiya: Und hatten denn Deine Freundinnen und Freunde auch Lust mitzumachen?
Charlotte: Ja!
Nina: Weil es so kurzfristig war war es erstmal unser Privatvergnügen. Und bei der zweiten Demo war es dann ein bisschen anders.
Charlotte: Ja es sind ganz viele mitgegangen, wir sind zu Fuß dahin gegangen. Aber was ich doof fand, dass die Primaria das als Schulveranstaltung gemacht hat. Weil man ja eigentlich die Demo in der Schulzeit macht. Und viele Lehrer*innen von anderen Schulen finden das ja doof. Wir machen es ja extra in der Schulzeit, wenn man das nicht macht, dann bringt es ja gar nichts – am Wochenende zum Beispiel. In manchen Schulen war es so, weil die da hin gegangen sind, haben die richtig Ärger bekommen. Wir machen ja was für unsere Erde, auch für die anderen Menschen und wenn die nächsten Kinder kommen, haben die ja ein schlechtes Leben, und das ist doof.
Und wir durften nicht mit dem Fahrrad fahren sondern mussten laufen. Das hat ewig gedauert.
Taiya: Wie geht es denn jetzt weiter für Euch? Habt ihr schon Pläne und Ideen fürs nächste Schuljahr?
Charlotte: Also ich möchte auch wieder Demos machen. Ich möchte die eigentlich auch gerne anmelden aber ich darf die noch nicht anmelden weil ich unter 18 bin.
Nina: Da brauchst Du mich (lacht). Anfang September ist wieder ein internationaler Klimastreik Tag. Gerade wenn dann auch mediales Interesse besteht an solchen Tagen wäre das vielleicht gut, da was zu machen. Jeden Freitag zu streiken ist ganz schön anstrengend. Und vielleicht auch zu viel, dann haben die Leute und vielleicht auch die Schüler*innen keine Lust mehr aber wenn man vielleicht punktuell was macht für Gandersheim wäre das sicher gut. Gandersheim ist ja auch nicht so groß.
Charlotte: Man könnte ja zum Beispiel auch sagen, jede dritte Woche macht man eine Demo. Dann gibt es Demos, aber halt nicht jede Woche.
Nina: Die Plakate haben wir ja alle fertig. Wir haben jetzt auch Erfahrung. Beim letzten mal haben wir einen Demonstrationszug durch Gandersheim gemacht. Wir haben das mit Absperrband gemacht, damit niemand auf die Strasse rennt.
Charlotte: Und dann musste ein Krankenwagen an uns vorbei und wir mussten uns alle auf den Bürgersteig quetschen.
Nina: Beim ersten mal hatten wir nur eine Standdemo und waren nur an einer Stelle.
Charlotte: Aber wir sind dann auch gegangen, Mama!
Nina: Ja, wir sind dann noch spontan losgegangen, ich wusste auch nicht, dass das möglich ist, dass man noch einen spontanen Zug anmelden kann bei der Polizei. Man muss dann auch Ordner benennen, also Personen die über 18 sein müssen.
Charlotte: Und das kann ich ja noch nicht, erst in zehn Jahren.
Nina: Beim zweiten mal haben wir direkt einen Zug angemeldet und sind am Gymnasium vorbei.
Charlotte: Da haben wir dann noch welche eingesammelt!
Nina: Ich glaube nicht so viele, denn im Gymnasium hing ein Brief, dass die Teilnahme an der Demo nicht erlaubt sei.
Charlotte: Aber es sind trotzdem einige mitgekommen.
Taiya: Hast Du den auch mit Kindern aus anderen Schulen mal darüber geredet?
Charlotte: Da war eine Lehrerin dabei, die hat gesagt, sie findet es cool was wir da machen.
Nina: Und Charlotte hat in ihrem Erstkommunionskurs gesagt: “Ich plane eine Demo, für unsere Umwelt, seid Ihr dabei? Wir treffen uns am Freitag um elf Uhr in der Stadt.” Charlotte geht auch zum Sport, da wurde sie auch angesprochen, dort allerdings ein bisschen kritischer. Da hat der Sportlehrer gesagt: “Charlotte, was machst Du denn da, Du musst doch zur Schule gehen!” Aber sie ist auch sehr positiv angesprochen worde, beispielsweise hat sie einen Brief bekommen, von einer älteren Dame aus Gandersheim.
Charlotte: Da stand drin: “Liebe Charlotte, ich finde das sehr toll was Du hier machst!” Die kannte ich aus der Kinderkirche in Bad Gandersheim. Diese Frau hatte auch ein Plakat, das hat sie sich um den Hals gehängt und auf dem Plakat stand drauf: “Omas for future”.
Taiya: Gab es etwas, das Euch am meisten Spaß gemacht hat oder vielleicht eine Situation, die ihr überraschend oder beeindruckend fandet?
Charlotte: Ich hätte was, was ich doof fand! Bei der ersten Demo waren Jugendliche dabei, und auf dem Plakat stand “wenn das Klima warm wird, wird auch unser Bier warm”. Wir machen was für die Umwelt und die sagen, sie wollen nicht dass ihr Bier warm wird.
Nina: Mich hat wirklich die erste Demo umgehauen. Wir standen da, und dann ging es los, erst ganz leise: “Wir sind hier…”
Charlotte: …ja, ich habe erst ganz leise gerufen: “Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!”.
Nina: Charlotte fing an, ganz zart und ich habe ein bisschen unterstützt, und dann wurde es immer lauter. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich hatte Tränen in den Augen.
Bei der zweiten Demo hat mich etwas aus unserer Schule beeindruckt. Mit den Tertia Schüler*innen hatte ich mich vorher lange darüber unterhalten und ausgetauscht, warum man überhaupt zu einer Demo geht. Ein paar von ihnen haben angezweifelt, dass das was bringt. Sie meinten, Mathe sei ja auch wichtig! Und dann, am Tag der Demo standen vier von unseren Tertia Schüler*innen hier und meinten: “Nina, wir haben den ganzen Nachmittag darüber nachgedacht, und Du hast total recht, es ist so wichtig, hier zu stehen und zu sagen, wir möchten, dass sich was ändert!” Und das fand ich so beeindruckend, dass diese vier da kamen, die zuvor gesagt hatten: “Ach bringt doch eh nichts, das interessiert mich gar nicht, was soll ich denn da.” Und dann standen sie da. Und bei der zweiten Demo fand ich toll, dass die Schule mitgekommen ist. Da wurde gesungen, es wurde ein Lied eingeübt mit Kindern und Erwachsenen. Ich fand es auch toll, dass es nicht nur eine Kinderveranstaltung war, sondern generationenübergreifend. Da waren Leute, die waren über 80 und da waren Babys dabei. Das war so schön! Auch dass das in Gandersheim möglich ist. Die letzte Demo die es in Bad Gandersheim gab, war vor 30 Jahren! Taiya: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!